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Terrorismusbekämpfung in muslimischen Staaten: zwei Fallbeispiele

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von Rüdiger Lohlker

Wird von Terrorismusbekämpfung gesprochen, ist der Fokus auf nationale Problemlösungen gerichtet. Bei modernen Formen des Terrorismus handelt es sich zumeist um transnationale Phänomene, denen auch transnational begegnet werden muss. Zwei Beispiele zeigen die Probleme, die aus einer nationalen Beschränkung entstehen.

Saudi-Arabien

In Saudi-Arabien waren seit längerer Zeit zwei unterschiedliche Konzepte des militärischen Dschihad vertreten. Das eine befürwortete den militärischen Kampf außerhalb der Landesgrenzen (z. B. Afghanistan, Bosnien, Irak, Syrien), das zweite schließt den militärischen Dschihad in Saudi-Arabien ein. Die Anhänger des zweiten Konzeptes wurden durch Rückkehrer aus Afghanistan in 1990er/2000 Jahren entscheiden gestärkt.

Dies ist der Hintergrund, vor dem die al-Qa’ida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) seit 2003 eine mehrjährige Anschlagskampagne in Saudi-Arabien begann. Die saudischen Sicherheitskräfte waren in hohem Maße unvorbereitet, um dieser Bedrohung der inneren Sicherheit zu begegnen. In den Folgejahren gelang es Ausbildungsstand und Technik der Sicherheitskräfte so weit zu verbessern, dass die Kampagne der AQAP zum Stillstand gebracht werden konnte. Eigene Spezialeinheiten für Antiterrorismusoperationen wurden gebildet. Versuche, Onlinepropaganda gegen dschihadistische Onlineaktivitäten zu stellen, blieben unzureichend.

Parallel wurden Disengagement-Programme begonnen, die Terroristen den Ausstieg aus dschihadistischen Gruppen erleichtern sollten. Ein multidisziplinäres Team, das auch religiöse Gelehrte als Mitglieder hatte, unternahm zu diesem Zweck Gespräche mit einschlägig verurteilten Gefangenen. Während von saudischer Seite die Ergebnisse dieses Programm gefeiert wurden, werden international die angegebenen Erfolgsquoten bezweifelt. Als problematisch wird angesehen, dass Gelehrte beteiligt sind, die dschihadistische Gewalt nur in Saudi-Arabien ablehnen (Konzept 1) und dass eher Mitläufer denn Kernkader der AQAP vom Programm erfasst wurden.

Die neue saudische Antiterrorgesetzgebung 2014 bestehend aus dem „Strafrecht für Verbrechens für die Verbrechen des Terrorismus und dessen Finanzierung“ und die damit zusammenhängenden Dekrete, z. B. das königliche Dekret 44, das die „Teilnahme an Feindseligkeiten außerhalb des Königreichs“ unter Strafe stellt, oder die entsprechenden Richtlinien des Innenministeriums.

Das ‚Terrorismusgesetz‘  gibt den Sicherheitskräften umfassende Vollmachten ohne weitere gerichtliche Kontrolle, enthält vage Formulierungen und spricht von Gewalt eigentlich nur im Zusammenhang mit im Ausland begangenen Taten. Im Inland spielt Gewalt als Element des Terrorismus keine Rolle. Jeglicher als oppositionell angesehener Akt oder eine abweichende Meinung – bis hin zum Atheismus – werden als Terrorismus deklariert. Verfolgt werden unter dieser Gesetzgebung insbesondere Menschenrechts- und Demokratieaktivisten.

Die seit Jahren steigende Sympathie für den IS im Königreich und die im Land verübten Anschläge signalisieren ein Scheitern der Antiterror-Politik, wenn für Terror der übliche Sprachgebrauch zugrunde gelegt wird. Auch die grundsätzliche theologische Legitimierung von Gewaltakten gegen als ungläubig definierte Personen und Institutionen wird nicht in den Blick genommen, kann es auch nicht, da ein Grundpfeiler des saudischen Systems, die wahhabitische Lehre betroffen werde. Der rein nationale Blickwinkel bedeutet eine vielfache Unzulänglichkeit, die auch nicht verhindern kann, dass die transnational beförderte Gewalt in den nationalen Raum zurückschlägt.

Indonesien

Indonesien kennt seit den 1990er Jahren eine Reihe von Anschlägen mit zum Teil erheblichen Opferzahlen, nicht alle von dschihadistischen Organisationen verübt. Der letzte Anschlag fand 2016 statt. Die dschihadistischen Organisationen, besonders genannt seien Jemaah Islamiya (JI) und der Islamische Staat (IS), haben indonesische Kämpfer in ihren Reihen, auf die sie zurückgreifen können, eine Erscheinung, die bis in die Zeit des Afghanistankrieges zurückreicht. Es gibt neben transnationalen dschihadistischen Organisationen auch andere gewaltorientierte islamische Organisationen – wie die „Front der Verteidiger des Islams“ (FPI) mit einer langjährigen Geschichte von Gewaltakten.

Die antiterroristische Gesetztgebung beruht auf mehreren Regularien: dem Gesetz Nr. 15/2003 über die Auslöschung des Terrorismus, den Letter of Decision by Coordinating Minister on Politics, Law & Security on Guideline to Conduct Operation on Terrorism no. 11/Menkopolkam/2/2004, das Protocol on the Suppression of Unlawful Acts of Violence at Airports Serving International Civil Aviation, Supplementary to the Convention for the Suppression of Unlawful Acts Against the Safety of Civil Aviation, Montreal 1988 und die International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism, New York 1999.

Es bestehen mehrere Antiterrorismuseinheiten aus den verschiedenen Teilstreitkräften und der Polizei: Kopassus (Armee), Detachment 88 (Polizei), Detachment Bravo 90 (Luftwaffe), Jala Mengkara Detachment (Marine). Ihnen werden zum Teil Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Allerdings sind ihre Leistungen international anerkannt. Besonders ihr gutes Verständnis der sozialen Struktur terroristischer Gruppierungen ermöglichte ihnen erfolgreiche Zugriffe.

Neben dieser repressiven Komponente gibt es seit 2003 verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen, die in der Auseinandersetzung mit einem gewissen, kontrollierbaren Erfolg.

Gegen dschihadistische, wahhabitisch-salafistische und politisch-islamische Kräfte gibt es seit etlichen Jahren von der weltweit größten islamischen Organisation, der Nahdlatul Ulama (NU), und auch von Teilen der zweitgrößten Organisation, der Muhammadiyah, Initiativen auf verschiedenen Ebenen bis hin zur erfolgreichen Produktion von Musik in dieser Richtung. Besonders die NU bemüht sich um die Entwicklung eines alternativen theologischen Denkens, das sich fundiert gegen extremistisches Denken wendet.

Die Jugendorganisation der NU hat eine erfolgreiche Onlinekampagne gegen dschihadistische und extremistische Onlineaktivitäten, deren Ergebnisse für den indonesischen Raum erfolgversprechend sind.

Auf Initiative von Teilen der Führung der NU wird eine Transnationalisierung der indonesischen Bemühungen, eine alternative Form des Islams, die inklusivistisch, tolerant, pluralistisch und demokratieorientiert, zu schaffen, angestrebt, die Bündnisse mit anti-extremistischen islamischen u. a. Kräften weltweit anstrebt. Hierbei geht es nicht nur gegen dschihadistische Kräfte, auch wahhabitisch-salafistische und politisch-islamische Kräften werden als Gefahr gesehen. Ein signifikantes Ereignis der letzten Zeit war die internationale Konferenz ISOMIL in Jakarta im Frühjahr 2016, aus der eine entschieden anti-extremistische Deklaration hervorging.

In dieser weiteren Perspektive eröffnet sich ein Weg der transnationalen Auseinandersetzung mit dem transnationalen Phänomen Dschihadismus und seinem gedanklichen Hintergrund in Teilen des zeitgenössischen islamischen Denkens und Handelns.

Dass aber auch innerindonesisch diese Auseinandersetzung nicht abgeschlossen ist, zeigt die jüngste Mobilisierung der FPI gegen den chinesisch-christlichen Gouverneur von Jakarta.

Antiterroristische Strategien müssen nachhaltig orientiert und können nur transnationale orientiert sein. Eine kurzsichtiger Blick produziert lediglich weiteren Terrorismus. Erinnert sie an Stellungnahmen wie: „America has an unprecedented opportunity to crash international terrorism.“ aus dem Jahre 1991 wieder publiziert von der Heritage Foundation. Solche Stellungnahmen entbehren angesichts der weiteren Geschichte nicht einer gewissen Tragikomik.

Literatur:

Scott Atran: Talking to the Enemy: Faith, brotherhood, and the (un)making of terrorists, New York: HarperCollins 2010.

Thomas Hegghammer: Jihad in Saudi Arabia: Violence and Pan-Islamism since 1979, Cambridge/New York 2010.

Rüdiger Lohlker: Erfahrungen mit „Deradikalisierungsprogrammen“ in muslimischen Ländern, in Jasmina Rupp (Hg.), Der (Alb)Traum vom Kalifat. Ursachen und Wirkung von Radikalisierung im politischen Islam, Wien 2016.

lohlkerLohlker, Rüdiger. Professor für Islamwissenschaften, Institut für Orientalistik, Universität Wien, Österreich, 2003- Leiter des Universitätslehrgangs „Muslime in Europa“ (Muslims in Europe), Universität Wien, Österreich, 2010-16.
Forschungsfelder: Geschichte des Islamischen Denkens, Islamische und arabische Welt online, Islamische extremistische Bewegungen, Dschihadismus.
Ausgewählte jüngere Publikationen:
Rüdiger Lohlker, Theologie der Gewalt: Das Beispiel IS, Vienna: facultas/wuv, 2016 (Theologie of Violence: ISIS as a Case Study)
Rüdiger Lohlker: Theology matters: The case of jihadi Islam, in Strategic Review 2016 (http://sr-indonesia.com/in-the-journal/view/europe-s-misunderstanding-of-islam-and-isis).

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